Bach oder Kanal? August 16, 2021August 16, 2021 Trotz hochsommerlicher Temperaturen haben an der vierten Etappe unserer Buchenbachspaziergänge wieder knapp 20 Menschen aus unseren Gemeinden teilgenommen. Schon bei der Begrüßung wurde auch darauf hingewiesen, dass dieser Abschnitt wohl die Unattraktivste aller Etappen sei, denn der Buchenbach ist in und durch Winnenden und Leutenbach stark verändert und nur selten fußläufig begehbar. Erst auf dem Weg nach Weiler zum Stein kann man erahnen, dass der Buchenbach wohl doch einmal ein vitales Gewässer war. Viel seiner Vitalität hat der Bach im letzten Jahrhundert jedoch verloren. Direkt am Einstieg sehen wir einen der Gründe: Wanderungshindernisse in Form eines Absturzes direkt unterhalb der Brücke, das mit Priorität beseitigt werden sollte. Die Bagger stehen schon: Gerberviertel II Hochwassergefahrenkarte im Bereich Gerberviertel (Quelle: LUBW) Treffpunkt des Spaziergangs war das Feuerwehrhaus in der Mühltorstraße dem gegenüber eins der größten innerstätischen Verdichtungsprojekte entsteht: Das Gerberviertel. 71 Wohneinheiten in Mehrfamilienhäusern werden durch das Bauunternehmen Pfleiderer erstellt. Wir als Grüne setzen uns auf vielen Ebenen dafür ein, dass Innenentwicklung vor Außenentwicklung stattfinden muss. Dieses Kriterium wird hier erfüllt, kritisch muss man hier aber fragen, ob es sinnvoll ist in einem Überschwemmungsgebiet (HQ100) überhaupt zu bauen und wenn ja, dort Tiefgaragen anzulegen? Mit einem 30 Meter breiten Retentionsraum entlang des bisher weitgehend kanalisierten Baches und einer Renaturierungsmaßnahme, die sinnvoll für die Bachökologie ist und einer entsprechenden Begehbarkeit für den Naherholungswert am Bach, wird hier auf die Belange des Naturschutz und der ortsansässigen Menschen eingegangen. Diese Retentionsflächen werden nicht freiwillig geschaffen, sie sind den Regelungen für Ausnahmegenehmigungen in HQ100-Gebieten geschuldet, vgl. hierzu §65 WG BW, §78 WHG BUND, Infos zu der Umsetzung dazu beim GRÜN-geführten Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg (https://www.hochwasser.baden-wuerttemberg.de/ueberschwemmungsgebiete). Wir hoffen sehr, dass die Stadt mit entsprechend geschulten Expertinnen und Experten in der detaillierten Planung die gesetzlichen Vorgaben aus dem Ministerium entsprechend umsetzt, die man als Laie nur schwer einschätzen kann. Christoph Mohr, Fraktionsvorsitzender der ALI-Fraktion in Winnenden, erzählte uns kurz über den schwierigen Entstehungsprozess eines neuen Gebäudes im städtischen Besitz in der Gerberstraße, das auch sozialen Wohnraum bietet und für viel Diskussionsstoff im Gemeinderat und in der Nachbarschaft gesorgt hat. Dabei ist das Gerberviertel, so ein begehrter Raum es heute auch ist, schon seines Namens nach in früheren Zeiten ein armes Viertel gewesen, das durch viele Mühlen und Gerbereien geprägt war und in dem es einst wohl fürchterlich roch. Viel ist davon nicht mehr übrig, aber bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es noch hier noch einen Betrieb, der selber Tierhäute gerbte – für die Tierpräparation. Als direkter Nachkomme bekamen wir von Herrn Schlüter hier Informationen aus erster Hand. Der Zustand im Bereich zwischen Kärcher-Gelände und Bahnbrücke sorgt für viel Diskussionsstoff Erst nach Überquerung der alten B14 an der Fußbrücke zu Beginn des Kärchergeländes sehen wir den Bach wieder, der im Bereich der Innenstadt von Winnenden nirgends wirklich begehbar ist. Hinter dem Zaun der Werksgeländes sieht man bereits wie sich der Bach langsam anstaut. Die Pflegemaßnahmen im Bereich der Kärchergeländes werden seitens Kärcher wohl meist gut durchgeführt wie Herr Schlüter anmerkt, an Bereichen in denen die Kommune selbst tätig sein müsste, wäre dies noch verbesserungswürdig. Interessant ist auch dass die Verlagerung der Zuständigkeit für Pflegemaßnahmen vom Kreis in die Kommunen wohl negative Folgen hätte, ‚es sei in der Vergangenheit durch die Pflegetrupps des Kreises besser gewesen‘, meinte Herr Schlüter. Wehr nahe des Kärchergeländes Kanalverdohlung des ehemaligen Mühlkanals Direkt am Ende des Geländes findet sich einer der massivsten Eingriffe in die Gewässerstruktur. Ein breites Wehr, das den Buchenbach an dieser Stelle staut und einen Teil des Wassers für einen alten Mühlkanal abzweigt. Die Durchlässigkeit wurde hier durch eine Fischtreppe, die zwar nur wenig Wasser führt, aber für Kleinstlebewesen überwindbar ist, verbessert. Dennoch ein sehr kritisch zu betrachtender Bereich. Warum man das Wehr nicht einfach entferne, fragt eine der Teilnehmerinnen. Die Ufersicherung ist hier durch Mauern erfolgt, den Eingriff mit dem Wehr zurückzunehmen, muss also auch ingenieurstechnisch und mit detaillierter Planung seitens entsprechenden Spezialistinnen und Spezialisten durchgeführt werden um die Folgen für Bodenerosion und bestehende, angrenzende Bebauuung richtig abschätzen zu können. Im Gewässerentwicklungsplan, der zurzeit vom renommierten Büro StadtLandFluss erstellt wird, ist die Umgestaltung des Bereichs als Aufgabe in der höchsten Priorität 1 deklariert, weil dort wesentliche Gewässerfunktionen stark beeinträchtigt sind. Das bedeutet, die Maßnahme sollte im Zeitraum von 5-10 Jahren realisiert werden. Kanal direkt neben dem Netto in Leutenbach Zwischen Bach und Kanal, die zwischen Winnenden und Leutenbach durch die Winnender Straße getrennt verlaufen, ist der Bach auch kaum zu sehen. Unscheinbar ragt aus einer frisch gemähten Wiese ein kleines Belüftungsrohr, das zusammen mit der Tatsache, dass der Bereich überhaupt gemäht wird, vermuten lässt, dass sich hier ein unterirrdisches Rückhaltebecken befindet. Erst kurz vor der Brücke nahe der Tierarztpraxis Erath finden Bach und Kanal wieder zueinander. Rudi Förschler weist darauf hin, dass der Kanal als ökologisch tot gelte, was eine rege Diskussion der Teilnehmenden nach sich zog. Augen für die kleinen Wunder der Natur hat auch unsere Landtagsabgeordnete Swantje Sperling MdL, die fasziniert die erstaunlichen Baufähigkeiten so kleiner Lebewesen wie Ameisen beobachtet. Die Natur zu verstehen, bedeutet auch, dass man viel von ihr lernen kann. Abkühlung am Brunnen auf dem Löwenplatz Die Hitze forderte ihren Tribut und so kam ein Eis am Löwenplatz und eine kleine Pause sehr gelegen. Aber natürlich waren auch hier die Themen politisch. Hätte man am Löwenplatz nicht mehr Grün vorsehen können auch wenn wegen der Tiefgarage keine größeren Bäume möglich sind? Wie klappt es mit der Bewirtschaftung im Lamm, einem Gebäude das der Gemeinde gehört? Doch zurück zu unserem Weg entlang des Buchenbachs und unserem eigentlichen Thema des Spaziergangs. Im Bereich von Leutenbach ist der Bach nur bei gelegentlichen Querungen über Fußgängerbrücken zu sehen. Brücke 1 (Winnender Straße) Brücke 2 (Bachstraße/Mühlefeldstraße) Brücke 3 (Talstraße/Walkmühlenstrße) Hier zeigt sich wohl auch am deutlichsten, warum der Titel unseres Berichts den Titel „Kanal oder Bach“ trägt. Wie mit dem Lineal gezogen, durchzieht der Bach hier die angrenzenden Gärten der Gebäude. Hier ist wieder die massive Ausbreitung des Neophyten „Indisches Springkraut“ zu sehen, das uns auf unseren Wanderungen schon häufig begegnet ist. Enten (17 zählten einige unserer Teilnehmenden) suchten bei hitzigen Temperaturen ein wenig Schatten während wir am oft in dem Bereich sehr schlecht abgeschattenen Bereich in praller Sonne standen. Fehlende Abschattung ist auch ein ökologisches Problem, weil dies Gewässer oft so stark erhitzt, dass es die Bachlebewesen gefährdet. Grunderwerb der Gemeinde zum Erhalt der Gewässerrandstreifen Durch die Novellierung des Wassergesetzes haben Kommunen bei der Veräußerung eines Grundstücks, dessen Grundfläche den Bereich der Uferrandzonen umfasst, ein Vorkaufsrecht um hier selbst für die Pflege der besonders wichtigen Gewässerrandzonen zuständig sein zu können. Marcus Lenz, im erweiterten Vorstand bei uns im Ortsverband und Gemeinderat in Leutenbach, erzählte wie schwierig sich die Nutzung dieser Möglichkeit im Gemeinderat dargestellt hat und nur mit einer knappen Mehrheit für einen kleinen Bereich durchgeführt wurde. Ausgenommen vom Vorkaufsrecht ist zudem die Veräußerung innerhalb einer Linie, was flächendeckenden Grunderwerb der Gewässerrandzonen sehr erschwere. Am Wehr am Rande von Leutenbach, das früher zur Stromerzeugung genutzt wurde, ist unscheinbar daneben eine alte Fischtreppe. Sie stammt noch aus der Zeit, als man nur an die sichtbaren Lebewesen im Bach dachte und nicht an den Makrobenthos, an all die vielen Kleinlebewesen, die für die Gewässerökologie viel entscheidender sind. Die Durchlässigkeit ist nicht gegeben. Bereits im Gewässerentwicklungsplan von 1999 werden hier zwei Varianten zur Wiederherstellung der Durchgängigkeit diskutiert, passiert ist aber offensichtlich bisher nichts. Die Wassermühle wird bereits seit 30 Jahren nicht mehr genutzt, die wirtschaftliche Nutzung wäre wohl möglich, aber die hohen Sanierungskosten und die relativ geringen Erträge machen dies nicht sehr attraktiv. Nach der Brücke direkt am Wehr beginnt der naturnahste Bereich des Buchenbachs im Gemeindegebiet von Leutenbach und damit wohl auch eines der derzeit kontroversesten Themen während unseres Spaziergangs. Als weitgehend naturnahes Gewässer hat dieser Bereich bereits durch das Naturschutzgesetz einen hohen Schutzstatus, dennoch befindet sich in den Plänen zur Flurneuordnung eine unscheinbare Querung, die aber eigentlich ein massiver, breiter Brückenbau ist. Mehrere Meter breit werde die Brücke wohl werden um bis zu 16 Tonnen schwere landwirtschaftliche Fahrzeugen einen schnellen Weg von den Felder zur Biogasanlage zu ermöglichen. Der Eingriff in die Brücke bedeutet eine Verschlechterung für den Bachlauf, die somit geltendem europäischen Recht und auch Landesrecht widerspricht. Daher war hier eine Ausnahmegenehmigung der unteren Naturschutzbehörde erforderlich, im Jahr 2008 wurde dabei sogar das Regierungspräsidium als obere Naturschutzbehörde aktiv und untersagte damals den Brückenbau. Nun kommt das Thema – 18 Jahre nachdem man zum ersten Mal darüber sprach wieder auf die Tagesordnung der Flurneuuordnung. Der Wegfall dieser unscheinbaren Brücke soll als Ausgleich für den Brückenneubau dienen Die untere Naturschutzbehörde verlangt entsprechende Ausgleichsmaßnahmen. Dass die Wegnahme dieser kleinen, kaum genutzten Brücke den Eingriff durch einen Brückenneubau ausgleichen solle, erscheint weder den Ehrenamtlichen aus dem Naturschutz noch den anderen Teilnehmenden wirklich schlüssig – die fehlende Kosten-Nutzen-Analyse bei hohen Ausgaben für die neue Brücke wird ebenfalls kritisch gesehen. Hier gibt es unterschiedliche Interessen und es ist wichtig, dass man mit allen eine veträgliche Lösung findet. Über das Thema werden wir auch in Zukunft noch sprechen. Ob diese Brücke letztendlich wirklich gebaut wird, kann man heute noch nicht sagen. Dass ab und an doch Menschen über die kleine Fußgänger-Brücke gehen, sieht man leider an achtlos liegengelassenenen, leeren Sushi-Verpackungen. Unsere Landtagsabgeordnete Swantje Sperling kennt hier keine Berührungsängste und packt den Müll einfach selbst ein. Gewässerrandstreifen gehören zu den artenreichsten Lebensräumen Europas Weiter geht unser Spaziergang im Schatten des einreihigen Gewässersaums bei dem die Ausweitung zu breiteren Gewässerrandzonen schon 1999 in den Gewässerenentwicklungsplänen vorgesehen war. Auch hier ist bisher nicht viel passiert. Alte, überwucherte Fußpfade am Buchenbach Wehr bei Weiler zum Stein Nahe der Ortsmitte von Weiler zum Stein verlassen wir schließlich den Buchenbach und freuen uns alle auf ein kaltes Getränk und eine Stärkung im Biergarten des Gasthauses Lamm. Einge von uns gehen vorher noch einen kleinen Umweg und begutachten das versteckt liegende, alte Wehr. Auch hier gab es in den Gewässerentwicklungsplänen bereits 3 vorgeschlagene Varianten diesen Eingriff, bei dem bei Messungen ein starke Verarmung des Artenreichtums festgestellt wurde, abzumildern. Offenbar ist hier aber schon seit langer Zeit nichts mehr passiert. Zurück ging es anschließend für die von Sonne und Weg ermüdeten Teilnehmenden mit dem Linienbus zum Winnender Bahnhof.
Hallo Daniel, ich nehme an, dass du wieder der Verfasser des Spaziergangsberichtes bist.? Wieder ganz klasse, der Text mit den Fotos! Beim Lesen hab ich gerade den ganzen Spaziergang nacherlebt und dabei festgestellt, dass ich mir unterwegs doch nicht alles Wichtige gemerkt hatte. Schön wars jedenfalls wieder, unsere Tour und jedesmal hat es Spaß gemacht, dabei zu sein. Liebe Grüße von Doris Antworten
Hallo Doris, da liegst Du richtig, ich freue mich total, dass ihr dabei seid. Unsere Gewässer sind so wichtig – für die Natur und uns Menschen! Ich freue mich schon auf die Zwischenetappe entlang der Steinach. Liebe Grüße Daniel Antworten